„Man könnte wohl sagen, daß die lebendige Menschlichkeit eines Menschen in dem Maße abnimmt, in dem er auf das Denken verzichtet.“ Mit diesem Zitat von Hannah Arendt beendete Dr. Annette Fiss, Vorsitzende des Stadtmarketing Schillerstadt Marbach, ihre Rede auf der Kundgebung „Marbach ist bunt“ am Samstag, 8. Februar 2025. Arendts Zitat zwingt zum Nachdenken: Menschlichkeit ist kein Gefühl, sondern eine Haltung, die aktives Denken erfordert. Wer aufhört zu hinterfragen, überlässt das Feld jenen, die spalten und ausgrenzen wollen.
Fiss machte in ihrer Rede deutlich, dass genau dieses Denken notwendig ist, um die Demokratie zu schützen. Sie sprach von einem „Albtraum“, in dem „Grundrechte nur noch für einige wenige Menschen gelten“ und Herkunft, Hautfarbe, Geschlecht oder Religion zu Kriterien für Ungleichbehandlung werden. Doch dieser Alptraum ist keine Fiktion – er droht Realität zu werden, wenn wir nicht wachsam bleiben.
Gerade in Marbach, einer Stadt, die für ihre kulturelle Tradition und ihr literarisches Erbe steht, hat das Nachdenken über Gesellschaft und Zusammenleben eine lange Geschichte. Denken bedeutet, Verantwortung zu übernehmen. Es bedeutet, sich nicht mit einfachen Antworten zufriedenzugeben, sondern die Ursachen für Spaltung und Ungerechtigkeit zu hinterfragen.
Fiss warnte vor einer Sprache, die uns gegeneinander aufbringt und „nur Sündenböcke sucht, wo es eigentlich um gesamtgesellschaftliche Missstände geht.“ Genau hier zeigt sich, was Denken leisten kann: Es hilft, Muster zu erkennen, Manipulation zu entlarven und Lösungen zu finden, die über Schuldzuweisungen hinausgehen. Eine Stadt wie Marbach wächst nicht durch Feindbilder, sondern durch Zusammenarbeit.
Menschlichkeit ist nicht verhandelbar. In dieser Frage gibt es keine Neutralität. „Diese Frage geht uns alle an!“ Marbach lebt von Menschen, die sich engagieren – in Vereinen, Schulen und im Stadtleben. Denken ist Handeln. Demokratie ist nicht nur ein politisches System, sondern eine Praxis, die täglich gelebt werden muss.
„Marbach ist Schillerstadt und Sitz des Deutschen Literaturarchivs“, erinnerte Fiss und verwies darauf, dass Schillers Werke das Gemeinwohl und das Wohl des Einzelnen zusammen denken. Demokratie bedeutet nicht Entweder-oder, sondern ein Gleichgewicht zwischen Freiheit und Verantwortung.
Der Verweis auf Hannah Arendt, die mehrmals im Marbach zu Gast war, macht deutlich: Wer nicht denkt, riskiert, die Menschlichkeit zu verlieren. Genauso wahr ist: Wer denkt, kann handeln. Marbach hat sich an diesem Tag entschieden zu handeln – für eine Stadt, die offen, vielfältig und demokratisch bleibt.
Der Applaus am Ende der Kundgebung zeigte: Demokratie lebt davon, dass Menschen sich einmischen – in Marbach und überall.
LO · Februar 2025